Meine Gesprächspartner reißen oft die Augen auf: „Die könnten sich doch beschweren! Wenn sie das nicht tun, selbst Schuld!“
Damit wird mir deutlich gemacht, daß meine Gesprächspartner nicht glauben, daß Beschwerdemanagement wichtig ist. Schauen wir mal genauer hin.

Acht Gründe, warum unzufriedene Kunden nicht reklamieren

Vertrauensverlust/Nutzlosigkeit

Ich bin durchaus hartnäckig. Aber mittlerweile ärgere ich mich nicht mehr. Ich gehe. Eine meiner letzten schweigenden Aktionen war der Wechsel des Zahnarztes. Warum? Er hat sich nicht wirklich erfolgreich um meine Beschwerden gekümmert. Seinem Partner war ein Absperrhahn wichtiger als meine Zahnschmerzen. Und die Helferin meinte, wenn jemand über Paradontose Bescheid wisse, sei das der junge Neue.
Der Meinung war ich nun nicht. Mir noch mehr Enttäuschungen und Ernüchterungen abzuholen, darin sah ich keinen Sinn. Ich diskutierte nicht länger. Ich wechselte. Derzeit habe ich den besten Zahnarzt meines Lebens…

In diesem Fall war ich enttäuscht und sah jetzt keinen Nutzen mehr in der Betreuung durch diesen Arzt. Noch schlimmer, ich hatte kein Vertrauen mehr.

rüher oder später geht es fast jedem Beschwerdeführer so. Gewohnheit und Loyalität wirken dann nicht mehr als Bindungsmittel. Dann hält der Beschwerdeführer es für sinnvoller, sich auch andere Angebote anzusehen und zu wechseln.

(Erlebte) Unfähigkeit

Gerade erst habe ich Tapeten im Netz bestellt. Die Auswahl in den Geschäften vor Ort war ernüchternd. Entweder waren allerorten die gleichen (häßlichen) Tapeten im Angebot oder die Lieferzeit dauerte ewig. Ich bestellte eine Auswahl und freute mich schon. 1-3 Tage waren als Lieferfrist angegeben, mit fünf Tagen rechnete ich. An Tag fünf waren die Tapeten nicht da. An Tag sechs nicht, an Tag sieben schrieb mir der Lieferdienst, er hätte die Adresse nicht gefunden. Die Sendung ginge zurück. Beim Lieferdienst: keine Rückmeldung. Beim Tapetenshop: Keine Aktion ohne Auftragsnummer.
Leider war ich unterwegs und nehme dann die Aktenordner nicht mit. Also wählte ich den Weg über die Transaktionsnummer beim Zahlungsdienst. Ohne die Auftragsnummer ginge es nicht, so das lakonische Standardschreiben. Dann habe ich es aufgegeben.

Am Tag darauf (!) fragte der Tapetenshop schriftlich, ob meine Anschrift in Ordnung wäre, ich möchte sie doch prüfen. Die Tapeten seien zurück gekommen. -Das war ein paar Tage zu spät. Meine Antwort war ehrlich: „Sie hatten offensichtlich kein Interesse, sie haben sich nicht bemüht, mein Problem zu lösen. Bei einer neuerlichen Bestellung würde es nicht besser…“
Es kam noch eine zweite Nachfrage der gleichen Art, wieder ein Standardschreiben. Würden Sie da noch antworten? Sehen Sie darin einen Vorteil?

Viele Beschwerdeführer denken es nicht nur, sie haben gelernt, daß es der Beschwerdeempfänger nicht besser kann. Gerade bei Erstkontakten oder Erstaufträgen wirkt sich eine unzureichende Beschwerdereaktion aus. Der Beschwerdeführer ist dann verloren.

Nach einer solchen Erfahrung macht sich der Beschwerdeführer meist auch nicht mehr die Mühe, sich zu melden.

Unkenntnis/Informationsdefizite

Vor geraumer Zeit habe ich den Onlineshop eines eigentlich exzellenten Anbieters im Handwerkbereich genutzt. Ich bestellte dort Dachbedarf und habe – ohne Absicht – eine Lieferoption angeklickt, die zu einem Abonnement führte. Die gewählte Bezeichnung im Shop war schon ziemlich rätselhaft. Etwas schockiert fragte ich nach, wie es denn zu diesen Wiederholungslieferungen käme. So viel könne ich ja gar nicht verbrauchen. Die Dame am anderen Ende der Leitung hatte keine Antwort und rätselte genauso wie ich.

Oft kommt es zu Beschwerden, weil der Beschwerdefüher keine Informationen hat, z.B. welcher Service angeboten wird, um welchen Service es sich handelt oder welche Leistungen möglich sind.
Schlechter, desinteressierter Service, eine unzureichende Betreuung und mangelhafte Vorabinformationen führen oft zu völlig unnötigen Beschwerden und Frustrationen. In seinem Ärger verzichtet der Beschwerdeführer dann oft auf eine weitere Zusammenarbeit.

Sympathie

Zuletzt habe ich eine Rechnung erhalten. Die war deutlich höher als erwartet. Angekündigt war ein Preis, der unter dem Originalanbieter lag, doch nun war es genau umgekehrt. Ich habe geschluckt, doch da ich diese Person mag und auch viel Gutes erfahren habe, verzichtete ich auf eine Beschwerde in dieser Sache.

Viele Menschen haben Probleme damit, sich zu beschweren, wenn sie einen Menschen mögen. Das ist beim Bestehen persönlicher Beziehungen der Fall, aber auch wenn es um familiäre oder kollegiale Beziehungen geht. Dann frisst man in sich hinein und ein Wechsel oder ein Abschied kommt auf leisen Füßen näher.

Generelle Scheu vor Beschwerden/Reklamationen

Beschwerden oder Reklamationen gab es bei uns zu Hause nicht. Dazu eine Anekdote: Mein Onkel und meine Tante luden uns zum Abendessen in ein ihnen bekanntes Lokal ein. Wir trafen etwa 18:00 ein, bestellten etwas zu trinken und dann – etwas später – auch zu essen. Dann plauderten wir. Der Abend verging.
An den Nebentischen wurde die Vorspeise serviert. Bei uns nicht.
An den Nebentischen wurde die Hauptspeise serviert. Bei uns nicht.
An den Nebentischen wurde die Nachspeise serviert. Bei uns nicht.
An den Nebentischen wurde die Rechnung bezahlt. Bei uns wurde immer noch nichts serviert.

Während die Hauptgänge an den Nachbartischen serviert wurden, fragte ich meinen Onkel, ob es immer so lange dauern würde? Als dort der Nachtisch kam, wiederholte ich meine Frage. Nun wurde mein Onkel tatsächlich aktiv.
Der Kellner kam aber immer noch nicht. Erst als er die Rechnung an den Nachbartischen abkassierte, bemühte er sich zu uns. Ob wir nicht bestellt hätten? Ich staunte, weil mein Onkel immer noch keine Ansage machte. Jetzt war ich allmählich verärgert. Es war ca. 21:30. Der Kellner prüfte unterdessen seine Bestellungen und zweifelte uns an.
Nach einigem Diskutieren zog er in Betracht, uns vergessen zu haben und bot einen zügigen Service an. Da hatten wir definitiv keine Lust mehr. Abendessen im schlimmsten Fall um 23:00? – Nein das täten wir jetzt zu Hause. Wir würden gehen. Nun kam er mit der Getränkerechnung, die mein Onkel allen Ernstes – ohne Wimpernzucken – zahlen wollte. Da sprudelte es aus mir heraus: „Sie wollen nach vier Stunden Wartezeit allen erstes vier Getränke bezahlt nehmen?“ … Das Argument meines Onkels: „Ich möchte in Zukunft noch hierherkommen…“

Manchen Menschen ist es grundsätzlich unangenehm sich zu beschwerden oder zu reklamieren. So Mancher hat auch Scheu, unangenehme Dinge anzusprechen. Ich selber musst lange üben, bis ich das konnte und auch in einem angemessenen Ton äußern konnte.

Zweifel und Skepsis

Vor Jahren waren die Leistungen meines Telephonanbieters unterirdisch. Andauernd kam keine Internetverbindung zustande. Der Service brachte keine Lösung, kostete sogar noch und im schlimmsten Fall wurde der Hörer aufgeknallt, ohne daß ich beleidigend gewesen wäre. Hartnäckigkeit reichte.
Das heißt als Kunde zahlte ich auch noch für eine Nicht-Leistung. Und eine spezialisierte Beschwerdehotline gab es nicht. Also rief ich am Ende sogar im Pressebüro an. Dort: Ein Anrufbeantworter. Ganz offensichtlich eine Leitung ohne Rückruffunktion. Denn ein Rückruf kam bei dem Konzern mit dem großen „T“ nicht.

Manche Kollegen sprechen davon, daß Kunden annähmen, eine Beschwerde koste zu viel Zeit und Ärger – und das auch noch angesichts eines unsicherem Ergebnisses. Ja, dieses vorwegnehmende Zweifeln gibt es. Doch noch wichtiger ist, daß viele Kunden gelernt haben, wie schlecht ein Gegenüber mit Kritik und Beschwerde umgeht. Zum Schaden kommt dann auch noch Herabwürdigung, Frust teils sogar Beleidigung. Warum sollte sich ein Beschwerdeführer noch die Mühe einer Beschwerde machen? Da ist es besser, zu wechseln.

Ein aufwendiges Verfahren

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie viele Kündigungsbuttons versteckt werden? An wie vielen Stellen haben Sie schon vergeblich nach einer Beschwerdestelle gesucht?

Beschwerden schnell los zu werden ist meist mühsam bis unmöglich. Auch das haben Beschwerdeführer meistens gelernt. Viel beschweren sich daher erst gar nicht mehr, weil sie die Reklamation für zu umständlich und zu kompliziert halten. Haben Sie sich schon mal gefragt, warum die Deutsche Bahn trotz elektronischer Buchung mit allen Daten noch das Ausfüllen eines Erstattungsantrages verlangt?

Da ist es für viele Kunden einfacher, zu wechseln als sich zu beschweren.

Reibungsverluste

Beschwerdeführer sieben aus.
Bild: C.G.

Ich habe lange eine Tageszeitung bezogen. Immer mal wieder fehlte sie. Jedes Mal musste ich anrufen, Kundennummer durchgeben, den Fall schildern und häufig genug ein zweites Mal anrufen. Ich meldete mich zu früh. Gleichzeitig bekam ich keine Rückerstattung der Überzahlungen mehr, sondern konnte sie nur noch Spenden. Einen Kundenservice gab es nicht, eine Rückfrage, ob es jetzt klappte? Sie träumen…

Kein Wunder, daß ich mit dem Lieferanten abgeschlossen habe. Über Jahre hinweg hatte mich der kölner Verlag immer wieder überzeugt, daß ich nichts Gutes zu erwarten hätte. Die Beziehung hatte sich abgenutzt. Nach den vorhandenen Erfahrungen war ich für den Wechsel bereit, und nach ersten Problemen entschloss ich mich, ganz auf die Tageszeitung zu verzichten.

In einem solchen Fall ist ein Beschwerdeführer kaum noch zurückzugewinnen. Er hat sich für eine Alternative entschieden. Er beschwert sich nicht mehr. Er ist weg.

Wann haben Sie das letzte Mal auf eine Beschwerde oder Reklamation verzichtet?

Warum haben Sie das letzte Mal auf eine Beschwerde verzichtet? Denken Sie einmal darüber nach. Welcher der Gründe hat bei Ihnen zugeschlagen?